Eins vorweg: Ich bin kein Arzt oder Jurist, ich bin studierter Wirtschaftskommunikator. Beruflich habe ich aber sehr viel mit den Bereichen Pharma, Krankenhäuser und Medizin zu tun. Von daher interessiere ich mich auch für die Probleme dieser Bereiche und beleuchte diese auch gern.
Ich habe ja in meinem Beitrag „Suchmaschinenmarketing für Pharma und Healthcare“ schon auf die Besonderheiten hingewiesen, denen Ärzte, Pharmaproduzenten und das Gesundheitswesen in Bezug auf Onlinemarketing begegnen.
Ich möchte mich heute deshalb einmal einem Thema widmen, dass zwar nur indirekt etwas mit Performance-Marketing zu tun hat, aber dennoch erwähnenswert ist. In dem folgenden Beitrag geht es um die Crux der Bewertungen von Ärzten im Internet und darum, warum viele der Bewertungen nichts wert sind, warum sie meist nicht konstruktiv und aussagekräftig sind und warum es Ärzten so schwer fällt, gegen Negativbewertungen vorzugehen. Der Beitrag richtet sich gleichermaßen an Ärzte und an Patienten. Von letzteren erhoffe ich mir auch etwas mehr Weitsicht und Verständnis.
Aber erst einmal zum Problem.
Inhaltsverzeichnis
Schlechte Bewertungen bei Arztpraxen
Zuallererst sollten wir uns auf folgende Mechanik einigen: Die meisten Menschen bewerten nur aktiv etwas, wenn sie unzufrieden oder enttäuscht sind. Das jemand aus freien Stücken eine Positiverfahrung teilt, ist nicht die Regel. Im Prinzip läuft es wie bei allen Bewertungen: Kunde ist zufrieden – alles gut. Kunde ist nicht zufrieden – es wird die Hölle heraufbeschworen. Die Menschen bewerten aus unerfindlichen Gründen immer nur dann etwas, wenn es schlecht gelaufen ist. Weil „gut gelaufen“ als Norm gilt, ist hier das Mitteilungsbedürfnis eher weniger groß. Wobei, wenn man sich die Gastronomie und die Hotellerie anschaut, dann gibt es auf jeden Fall viele Kunden, die freiwillig über ihre Positiverlebnisse berichten, das Essen fotografieren oder den traumhaften Ausblick eines Hotels hervorheben. Selbst Onlinehändler kitzeln aus ihren Kunden einen Erfahrungsbericht heraus.
Aber woran liegt das? Warum „läuft“ das Prinzip der Bewertungen bei den einen wie von selbst und bei den anderen muss man es erzwingen? Und warum sind so viele Bewertungen und Rezensionen bei Ärzten oft so vernichtend und emotional getrieben? Was kann man als Arzt dagegen tun bzw. wie geht man mit Kritik im Internet um?
Grundlegende Unterschiede
Der Unterschied zwischen Ärzten und Onlinehändlern liegt – offensichtlich – erst einmal darin, dass der Onlinehandel (freie Wirtschaft) in seinem Tun und Schaffen weitestgehend frei ist. Das betrifft auch die Werbung. Ärzte wiederum sind an eine Zulassung gebunden, über die Dritte entscheiden (später mehr) und sie sind in Bezug auf Werbung durch das HWG (Heilmittelwerbegesetz – HWG) eingeschränkt.
„Grundsätzlich gestattet ist nach § 27 Abs. 1 der (Muster-)Berufsordnung der deutschen Ärzte (MBO) die sachlich berufsbezogene Information.“ – Quelle
Das bedeutet zwar, dass Ärzte grundsätzlich werben dürfen, allerdings nicht so freizügig und plakativ, wie es die freie Wirtschaft „darf“. Sachlich bezogene Information umfasst in der Praxis dann Dinge wie Anschrift, Leistungsumfang oder Art der Praxis. Arztpraxen müssen auch besonders auf Formulierungen achten, die möglicherweise irreführend sein können. Man sieht: Die freie Wirtschaft hat es deutlich einfacher. Bei der Nutzung von Facebook das Gleiche: Die Privatsphäre von Patienten kann in einem Post schnell verletzt werden. Aber das ist wiederum ein anderes Thema.
Aaaaaber schaut man sich die Google-Bewertungen etlicher Arztpraxen an, so hat man den Eindruck, dass diese es 1. einfach über sich ergehen lassen, 2. das es sie nicht kümmert oder 3. das sie nicht in der Lage sind, sich diesem Problem anzunehmen. Dabie könnten sie hier tätig werden. Ich kann hier nur mutmaßen, dass es sich um eine Mischung aus allen drei handelt. Auffällig ist aber, dass viele Bewertungen bei Ärzten immer entweder positiv oder gänzlich vernichtend sind. Betrachten wir deshalb einmal ein paar Aspekte, die das „Warum?“ besser beantworten können.
Zugegeben, der Vergleich zwischen einem Arzt und einem Onlineshop hinkt. Ich wollte nur verdeutlichen, wo die Einschränkungen liegen.
Andere Erwartungshaltung bei Ärzten
Wir sollten bei der Betrachtung auf jeden Fall auch die Erwartungshaltung mit ins Spiel bringen. Im E-Commerce, der Gastronomie und der Hotellerie ist es so, dass die Kunden ja aktiv eine freiwillige Kaufentscheidung treffen und dementsprechend eine individuelle Erwartungshaltung aufbauen, welche natürlich auch positiv wie negativ befriedigt werden kann. Bei den Ärzten ist es so, dass der Pflichtversicherte ja eine Leistung (medizinische Grundversorgung) in Anspruch nimmt, die er wiederum von gesetzlichen Abgaben (SV-Abzüge beim Lohn) bezahlt. Nicht jeder ist mit der Höhe der Abzüge glücklich. Auch haben die Patienten keinen oder kaum Einfluss auf die preisliche Gestaltung von Zusatzleistungen. Die Erwartungshaltung ist also schonmal gänzlich anders.
Anders als in der freien Wirtschaft, wo die Dienstleister und Händler mit vielen Extras, schnellen Lieferzeiten und Bestpreisen um die Kundschaft buhlen, haben es die Ärzte deutlich einfacher: Jeder braucht einen Arzt, jeder zahlt Krankenversicherung, jeder bekommt medizinische Versorgung. Es gibt aber nur eine bestimmte Anzahl von Ärzten in einem Gebiet.
Ich will damit jetzt nicht sagen, dass Ärzte grundsätzlich nicht auf Service und Zufriedenheit achten, sie brauchen es aber auch nicht. Gibt es in einem ländlichen Gebiet im Umkreis von mehreren Kilometern nur einen HNO-Arzt, dann gibt es eben nur einen HNO-Arzt. Es ist jetzt bei Ärzten auch nicht so, dass jeden Tag eine neue Praxis eröffnet mit Luftballons, winkenden Kindern und Gutscheinen. Ihr wisst, was ich sagen will.
Bei Gesundheit und Schmerzen hört der Spaß auf
Das ist wiederum ein anderer wichtiger Aspekt bei der Betrachtung von Bewertungen von Arztpraxen. Hat man Schmerzen oder ein dringendes gesundheitliches Problem, so braucht man oft schnelle Hilfe. Schnell bekommt man dann mit, dass der Hausarzt im Urlaub ist, keine neuen Patienten mehr annimmt oder die Öffnungszeiten der einer staatlichen Behörde ähneln. Da kommt natürlich schnell Frust auf. Noch dazu gibt es bei den Ärzten – so wie auch im Handel und Onlinehandel – bestimmte Peaks und Hochzeiten, beispielsweise im Winter (Grippe, Erkältung). Klar, dass nicht jeder Arzt sofort neues Personal einstellt, weil jetzt mal für 2-3 Monate ein höheres Patientenaufkommen auftritt. Händler sind da anders, denn da zählt Umsatz. Ärzte sitzen da eher in einem gemachten Nest.
Hintergrundwissen: Man kann nicht so einfach eine Praxis aufmachen
Das ist ein Punkt, den ich hier gerne vor allem für mitlesende „Patienten“ und Nicht-Mediziner klarstellen möchte, denn es lockert die Sichtweise enorm auf. Ich weiß, dass das viele betroffene Patienten im Moment ihrer gesundheitlichen Probleme oder akuten Schmerzen nicht interessiert, aber es sind nicht alleine die Ärzte, die lange Wartezeiten und eine hohe Auslastung verursachen.
Eröffnen einer Praxis hängt an Zulassungsausschüssen
Obwohl es jedem Arzt eigentlich freisteht, ob er praktiziert, so hängt beispielsweise das Eröffnen einer Praxis an Zulassungsausschüssen. Diese entscheiden dann darüber, ob ein Arzt eine Praxis eröffnen darf oder nicht. Es gibt so genannte offene- und gesperrte Planungsbereiche. Man muss also zwingend betrachten, dass die Abdeckung der medizinischen Versorgung durch Dritte geregelt wird. Das erklärt meiner Meinung nach auch, warum Spezialisten so oft „überlaufen“ sind. Ärzte sind damit auch ortsgebunden, da die Zulassung nur für den beantragten Planungsbereich gilt. Von dieser Warte aus trifft der Begriff „Komfortzone“ schon zu.
Ärzte müssen wirtschaftlich denken und handeln
Ärzte müssen die laufenden Kosten einer Praxis (Miete, Personal, Geräte etc.) übrigens auch komplett selbst tragen d.h. sie müssen auch wirtschaftlich handeln und denken.
In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erhalten Vertragsärzte ihr Gehalt nicht direkt vom Patienten, sondern rechnen ihre Leistungen einmal im Quartal nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ab.
Das ist auch ein Punkt, den viele Patienten nicht kennen. Kassenärzte dürfen erbrachte Leistungen nur nach einer festgelegten Preispanne berechnen und sie dürfen auch nur die Leistungen (für den Patienten) kostenlos erbringen, die geregelt sind. Alles andere sind dann Zusatzleistungen. Wenn man also beim Arzt „oben drauf“ zahlt dann nicht, weil der Arzt das so beschlossen hat.
Wer sich den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) einmal anschauen möchte, der kann das hier.
Ärtzliche Sorgfaltspflicht
Als Arzt steht man (in den USA mit Sicherheit) schon mit einem Bein im Knast. Es gibt Behandlungsfehler, Aufklärungsversäumnisse, Dokumentationsfehler und sonstige Pflichtverstöße. Ärzte sind deshalb bemüht, all ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen. Das ist übrigens auch der Grund, warum ein Arzt immer eine feste Zeit pro Patient einplant und einplanen muss. Es gibt bei Ärzten kein „können Sie mal schnell schnell dies und das?“. Und selbst bei fest geplanten Zeiten gibt es immer wieder mal Patienten, bei denen mehr Zeit erforderlich ist. Das kann dann auch mal dazu führen, dass man trotz Termin noch eine Stunde warten muss.
Sterne-Bewertungen bei Ärzten sind nicht aussagekräftig
Wie schon erwähnt sind Ärzte nicht zu vergleichen mit Onlineshops oder lokalen Geschäften. Umso mehr stellt sich die Frage, ob eine simple Sterne-Matrix ausreichend ist für die Bewertung eines Arztes. Auch mit Hinblick darauf, dass oftmals Wartezeiten, Erreichbarkeit oder Terminvergaben als negativer Bewertungsgrund genannt werden. Hat ein Hausarzt gerade mitten in einer Grippewelle mit einem hohen Patientenaufkommen zu kämpfen, inwiefern sagt die lange Wartezeit etwas über die Kompetenzen und die Qualität der Behandlung aus? Nichts. Es ist schwierig und ich finde deshalb die einfache 5-Sterne-Matrix als Bewertungsgrundlage irreführend und falsch.
Im Gegensatz zur einfachen „5-Sterne-Bewertung“ ist das Bewertungssystem bei Jameda dann doch deutlich aussagekräftiger.
Das Problem mit Jameda und Co.
Dieses Problem ist nicht neu. Bewertungs- und Listenportale gab es schon immer. Ich finde es höchst merkwürdig, dass Pharmaproduzenten, medizinische Dienstleister und Ärzte durch das HWG und andere Gesetze eingeschränkt werden, auf der anderen Seite aber Portale, Online-Apotheken und Gesundheitsratgeber (mit Affiliate-Konzept) einen riesen Reibach machen.
2016 hatte ein Zahnarzt geklagt. Es ging um eine „anonyme“ Bewertung auf Jameda, die er Arzt nicht nachvollziehen konnte. Er verlangte die Löschung bzw. einen Nachweis über die Echtheit der Bewertung, da die kritisierte Dienstleistung gar nicht von ihm angeboten wurde.
„Er argumentiert insbesondere damit, dass er sich ohne Informationen darüber, um welchen Patienten und um welche Behandlung es geht, nicht wirksam gegen eine solche Bewertung verteidigen kann. Zudem läge ihm bis heute kein Nachweis darüber vor, dass der Bewerter überhaupt Patient bei ihm war und aus seiner Sicht nur solche Bewertungen zulässig sein können, die von tatsächlichen Patienten abgegeben wurden.“ – Das Gericht entschied zugunsten des Zahnarztes.
Ein weiterer aktueller Fall zeigt ebenfalls die Crux von Bewertungen und der Macht von Listing-Portalen. Eine Hautärztin hatte Jameda auf die Löschung ihres Profils verklagt, weil dort durch angebliche Patienten Bewertungen abgegeben werden können und zudem Werbung für konkurrierende Ärzte eingeblendet wird. Das Urteil steht aktuell (05.02.18) noch aus dürfte aber nach Urteilsverkündung bei der o.g. Quelle zu finden sein.
Beide Fälle zeigen auf die Zwickmühle von Ärzten: Anonyme und nicht nachvollziehbare Bewertungen und eine Bevorzugung von Einträgen in Listen-Portalen gegen Bezahlung.
Nachtrag: Jameda Bewertungen kaufen
Nachdem ich den Beitrag veröffentlicht hatte, stieß ich noch auf diverse Geschäftsmodelle, die aus den Ärzte-Bewertungen Profit schlagen. Alleine schon der Begriff „Bewertungen kaufen“, also das sich jemand mittels Geld seine Online-Reputation aufhübscht, finde ich mehr als fragwürdig. Aber auch frei nach dem Prinzip Angebot und Nachfrage müssen sich sicher nicht nur Patienten die Frage nach der Echtheit von Jameda-Bewertungen stellen, sondern auch die Ärzte selbst. Meine Meinung ist: Das erscheint mir alles noch höchst manipulativ und null transparent. Mich wundert es überhaupt nicht, dass Jameda regelmäßig verklagt wird.
Problem Nachvollziehbarkeit
Aus den Jameda-Fällen und beispielsweise dem Google-Bewertungssystem ergibt sich noch die Frage der Nachvollziehbarkeit. Nicht nur die Ärzte haben teils mit Fake-Rezensionen zu kämpfen, der Onlinehandel hatte (hat) dieses Problem lange. Bewertungen sollen ja eine aus der Nutzer- / Kundenerfahrung generierte Empfehlung sein. Wenn jetzt aber jemand anonym irgendwo eine Bewertung hinterlässt, wie aussagekräftig ist sie dann? Wo ist die Nachvollziehbarkeit? (siehe der Fall mit dem Zahnarzt)
Wir Onliner wissen zu gut: Im Internet wird viel betrogen und kaschiert. Und auch die Wettbewerber greifen manchmal zu unfairen Mitteln, um der Konkurrenz zu schaden. Das dürfen dann auch mal systematische Negativbewertungen sein. Alleine deshalb sehe ich Bewertungen (nicht alle) kritisch.
Problem Unsachlichkeit
Wir alle kennen das: Wenn man einmal richtig angepisst und wütend ist, dann gibt es keine Sachlichkeit. Und genau das spiegelt sich dann gerne in Rezensionen wieder. Natürlich steht hinter jeder überzogenen Meinung auch etwas Wahrheit, aber Unsachlichkeit und reine Übertreibung haben nichts mit dem Sinn einer Bewertung zu tun. Manche Bewertungen lesen sich regelrecht böswillig, andere sogar völlig zweckentfremdet. Man bekommt dann eher den Eindruck, dass hier jemand komplett sein Wut-Ventil aufmacht und alles in die Bewertung entlädt, was ihm gerade so einfällt.
Um anhand des oben gezeigten Beispiels etwas konkreter zu werden: Wie im Abschnitt „Hintergrundwissen“ dargelegt, müssen Kassenärzte nach einer Art Kostenkatalog abrechnen. Bei Zahnärzten gibt es ebenfalls Zusatzleistungen, die der Patient tragen muss. Liest man diese Rezension mit dieser Brille auf, so kommt man zur Erkenntnis, dass der Autor dieser Bewertung einfach nur wütend über die Kosten ist. Der Arzt muss Kosten klar und vorher kommunizieren. Lehnt man diese ab, ist die weitere Behandlung logischerweise erstmal beendet. Darüber sollte er sich aber mit seiner Krankenkasse unterhalten, nicht mit dem Zahnarzt. Und wie man Karies mit einer Zahnreinigung zusammenbringt – keine Ahnung. Der ZA selbst hat durchweg gute Bewertungen. Ich denke, hier wurde viel emotional gepanscht.
Bei Kindern wird es schnell emotional
Rezensionen wie die oben gezeigte sind bei Kinderärzten keine Seltenheit. Bei Kindern ist es nochmal eine ganz spezielle emotionale Situation: Die Eltern haben ein krankes Kind (das womöglich schreit, weint und quengelt) und sind auf einen Arzt angewiesen. Solche Bewertungen sind irgendwie menschlich nachvollziehbar, aber im Grunde sind Kritikpunkte wie „Öffnungszeiten“, „Wartezeiten“, „Erreichbarkeit“ oder sogar „fehlende Parkplätze“ ein allgemeines Problem und kein Grund, einen Arzt mit einem Stern zu bewerten. Bewertungen werden hier als Ausdruck maximaler Unzufriedenheit genutzt. Wie aber schon eingangs beschrieben, ist das eine weit verbreitete Mechanik: „Ich bin gekommen um zu meckern, nicht um zu differenzieren.“
Bewertungen als Retourkutsche
Wenn man sich einfach mal völlig zufällig ausgewählte Bewertungen von unterschiedlichsten Ärzten anschaut, dann bekommt man schnell das Gefühl, dass hier Retourkutschen verteilt werden. Man kann sicherlich menschlich nachempfinden (siehe oben), dass die Sorge um das eigene Kind kein angenehmer Zustand ist. Aber man kann auch nicht dem „Ersatzarzt“ – oder der, der es werden sollte – vorhalten er sei schlecht, weil die Praxis gleich schließt und man keine neuen Patienten annehme. Man merkt: Es ist wirklich eine Crux mit diesen Bewertungen.
Komischerweise hat sich in der Notaufnahme noch nie jemand öffentlich beschwert, dass man bis zu 4 Stunden warten darf. Es ist überall das Gleiche: Es können eben nur so viele Patienten behandelt werden, wie ein Arzt es schaffen kann. Und selbst in der Notaufnahme wird fast immer ein Stationsarzt abgezogen, der sich eigentlich noch um andere Patienten kümmern muss.
Es wird bei Ärzten scheinbar einfach nicht differenziert. Dabei sind diese auch nur Menschen, die einen Beruf ausüben. Anstatt man das System hinterfragt, dass zu solchen Situationen führt, schießt man die volle Salve auf den Arzt…oder besser…in das Bewertungsprofil des Arztes.
Ich-Bezogenheit der Bewertungen
Von der Unsachlichkeit ist es nicht weit zur Ich-Bezogenheit. Manche Rezensenten blenden komplett die Realität aus und schildern alles nur so, wie sie es erlebt und gefühlt haben…und zwar volle Kanne subjektiv. Noch eine Prise Übertreibung dazu und fertig ist die vernichtende Bewertung. Ganz ehrlich, es gehören immer zwei dazu und ich weiß, dass Menschen – wenn sie gestresst oder genervt sind – auch nicht grade die Unschuld vom Lande sind wenn es um Höflichkeit und respektvolles Miteinander geht. In der Bewertung war es dann aber die „unfreundliche Schwester“ oder „der schreiende Arzt“. Mir fehlt bei solchen Dingen leider immer eine differenzierte Darstellung. Welchen Sinn macht es, dass ein erfahrener praktizierender Arzt, der sonst durchweg gute Bewertungen hat, angeblich grundlos „schreit“? Wo ist die Gegendarstellung hierzu? Sehr einseitig und unglaubwürdig finde ich.
Bewertungen, die man sich gefallen lassen muss
Es gibt aber auf der anderen Seite auch ganz viele Bewertungen, die sich ein Arzt gefallen lassen muss. Zum Beispiel wenn die Kommunikation auf der Website etwas verspricht, was der Patient dann frühestens am Telefon auf einmal nicht mehr bekommt. Da muss ich ganz ehrlich sagen sollten die betroffenen Ärzte dringend auch an ihrer Kommunikation arbeiten. Wir Onliner kennen das Problem nur zu gut: „Was wir denken, das da steht“ und „Was Nutzer verstehen, was da steht“ sind zwei paar Schuhe. Man kann, selbst in der heutigen Zeit, von Kunden, Patienten und Internetnutzern nicht erwarten, dass die alles erahnen und wissen. Umso mehr muss man ihnen manchmal vorkauen.
Wie geht man mit Negativbewertungen um?
Ist eine Bewertung erst einmal im Netz, kriegt man diese nur schwer bis garnicht wieder weg. Der beste Weg mit negativen Rezensionen umzugehen ist meiner Meinung nach der Dialog. Kommentieren Sie, sofern möglich, die Bewertung und gehen Sie auf die Kritik ein. Wenn Sie die Bewertung einfach nur stehen lassen, dann gilt das Prinzip „Wer schweigt gibt recht“. Andere Patienten sehen dann diese Bewertungen und die sind, ohne Ihre Richtigstellung, einseitig und natürlich negativ.
Ich sage ja nicht, dass man jedem Nörgler einfach nur recht geben muss, aber Sie können sachlich auf die Kritik eingehen. Wenn es z.B. gerade durch eine Grippewelle ein erhöhtes Patientenaufkommen gab, dann können Sie das erklären und argumentieren. Menschen denken und handeln oft ich-bezogen. Es gibt aber, z.B. in Großstädten, meist viele Tausende, die die Hilfe eines Arztes brauchen. Eigentlich können wir hier froh sein über dieses Niveau an medizinischer Versorgung. ich weiß nicht was trauriger ist – das man Ärzten raten muss, sich den Bewertungen zu stellen oder die Leute, die diese Bewertungen verfassen.
Übernehmen Sie die Kontrolle
Ich sehe immer wieder Google-Bewertungen bei Einträgen, die scheinbar nicht gepflegt werden. Wenn Sie der Inhaber eines solchen Eintrags sind, dann übernehmen Sie die Kontrolle! Pflegen Sie ihren Google MyBusiness Eintrag und gehen sie aktiv mit Kritik um. Sie erreichen damit nicht nur eine bessere lokale Aufindbarkeit sondern können auch bei Ihren Patienten die Erwartungshaltung in Bezug auf Öffnungszeiten und Besonderheiten nullen.
Lernen Sie aus der Kritik
Lernen Sie auch aus den Erfahrungsberichten, so hanebüchen sie sich auch manchmal lesen mögen. Sie müssen nicht alles auf die Goldwaage legen, aber grundlegende Dinge wie Erreichbarkeiten und Terminvergaben sind nunmal wichtige Maßstäbe. Überarbeiten Sie vielleicht auch Ihr Informationsangebot? Vielleicht sind Ihre Öffnungszeiten nicht aktuell kommuniziert? Sind gewisse Leistungen und Zuzahlungen nicht klar und ersichtlich dargestellt?
Aktivieren Sie Ihre Patienten
Ich bin mir sicher, dass auf jede Negativbewertung etliche positive Arztbesuche kommen. Aktivieren Sie Ihre Patienten und machen Sie sie auf die Möglichkeit der Bewertung aufmerksam. Das kann die freundliche Schwester übernehmen oder Sie selbst, wenn Sie den Patienten entlassen. Glauben Sie mir, eine persönliche Bitte hilft Wunder.
Wehren Sie sich!
Wie ich oben schon ausgeführt habe: Es gibt berechtigte Kritik und es gibt unsachliche Fantastereien. Das letztere rufschädigend und unangebracht sind, muss man nicht extra erwähnen. Da sage selbst ich als Patient und als Geschäftsmann: Wehren Sie sich! Es gibt keinen Grund so etwas auf sich sitzen zu lassen, nur weil jemand einen schlechten Tag hatte. Es ist wie mit der Meinungsfreiheit: Auch die hat Grenzen, wenn es verletzend und hetzerisch wird.
Fazit für Ärzte
Lassen Sie sich nicht entmutigen. Das Internet ist groß, (immer noch) anonym und ungerecht. Eine Negativbewertung soll ja genau das bewirken, was der Name schon sagt: negativ treffen. Sie wissen wahrscheinlich selbst, wie man solche Bewertungen zu nehmen hat, aber es sollte Ihnen nicht egal sein. Ob übertrieben oder nicht, hinter jeder Kritik steht immer etwas Wahrheit. Nutzen Sie die Chance und gehen Sie offensiv mit Bewertungen um. Ermutigen Sie ihre Patienten einen Gegenpol herzustellen und über positive Erfahrungen zu berichten. Pflegen Sie Ihr Google MyBusiness Profil und optimieren Sie die Kommunikation Ihrer Website. Jede Frage, die Sie dort beantworten, bekommen Sie nicht mehr gestellt. Befriedigen Sie die aufgebaute Erwartungshaltung Ihrer Patienten.
Fazit für Patienten
Seien Sie etwas nachsichtiger mit den Ärzten und überlegen Sie es sich bitte zweimal, ob Sie ihre Frustration wirklich in das Bewertungsprofil eines Arztes hacken möchten, der vielleicht ein richtig guter Helfer ist. Denken Sie daran, dass Sie nicht alleine auf dem Planeten sind. Auch andere Menschen brauchen Hilfe. Ein Arzt kann sich auch nicht teilen.
Gehen Sie mal in ein Krankenhaus oder in eine Notaufnahme und schauen Sie sich an, wie die Menschen dort teils unter Über-Vollauslastung ihr Bestes geben. Und daran denken Sie dann jedes Mal, wenn Sie einem Arzt eine „1-Sterne-Bewertung“ geben wollen, weil er nicht gleich erreichbar ist oder die Praxis gerade schließt. Versuchen Sie etwas empathischer zu denken – kein Arzt vertröstet Sie böswillig oder schickt Sie ohne Grund weg. Bedenken Sie, dass es immer zwei Realitäten gibt: Ihre mit ihren Bedürfnissen, Schmerzen oder Erkrankungen und die des Arztes, der das sachlich und fachlich betrachtet. Wenn etwas eskaliert gehören in der Regel imer zwei dazu.
Und wenn Sie eine Bewertung schreiben, dann bleiben Sie sachlich und übertreiben Sie nicht. Wenn sich Ihre Bewertung so liest, als würden Sie gerade sterben dann stellt sich später die berechtigte Frage, warum Sie nicht den Notarzt angerufen haben und stattdessen noch Zeit haben, ein paar Wörter in eine Google-Bewertung zu stopfen. Und denken Sie bitte auch daran: Das es (möglicherweise) zu wenige Ärzte gibt liegt nicht daran, dass es sie nicht gibt – es liegt daran, dass andere regulieren, wieviele Praxen es geben darf. Das wiederum ist eine Frage, die man dem System stellen muss, nicht dem Arzt.