Die psychologischen Effekte des Content Marketing
The problem is that we usually don’t notice these influences. – Professor Daniel Kahneman
Es ist momentan groß angesagt und in aller Munde: Content Marketing. Nachdem der große SEO-Hype etwas abgeebbt ist, versucht sich unsere Branche an neuartigen Methoden zur Website Optimierung und Neukundengewinnung.
Zahlreiche gute Definitionen und Konzepte gibt es bereits. Doch wie steht es eigentlich um die Erklärung des Wirkungsbereiches, also konkret um die psychologischen Effekte die beim Content Marketing auf uns einwirken?
Ich möchte mich in diesem Beitrag weniger mit Tipps oder Anwendungsbeispielen des Content Marketing beschäftigen, sondern vielmehr mit den psychologischen Effekten, die sich das Content Marketing zunutze macht.
Damit sollten sich dann folgende Fragen auch wissenschaftlich beantworten lassen:
- Warum ist Content Marketing gut für die Kundenbindung?
- Warum ist Content Marketing gut für die Markenkommunikation?
- Warum ist Storytelling so ein gutes Instrument, um seine Markenbotschaft zu verbreiten?
- Wieso sollten die Geschichten stets einfach sein?
- Wie kann ich Content Marketing dazu nutzen, das Image meines Unternehmens zu verbessern?
Der Übersichtlichkeit halber steht bei jeder Zwischenüberschrift, sofern möglich, immer der Teil des Content Marketing in Klammern, der durch den Effekt betroffen ist. Ich möchte auch gar nicht allzu sehr in die Tiefe gehen oder wissenschaftliche Definitionen wiederholen, sondern vielmehr die Zusammenhänge und den Wirkungsgrad erläutern. Wie schon in meinem kritischen Beitrag über „Meinungsführerschaften„, ist es für mich immer wieder erstaunlich, wie sehr doch bestimmte Marketingtechniken eigentlich an die Konsumpsychologie und die Sozialpsychologie anlehnen. Für erfahrene Psychologen ist dies sicherlich nichts Neues, für mich als Online Marketer sind dies jedoch wertvolle Brücken.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich selbst weder studierter Psychologe bin, noch Sozialwissenschaftler oder Konsumforscher. Die hier beschriebenen Effekte leite ich lediglich logisch anhand ihrer Wirkung ab und setze sie in den Kontext des Content Marketing. Wer sich mit den beschriebenen psychologischen Effekten näher beschäftigen möchte, dem empfehle ich dringend weiterführende Literatur.
Inhaltsverzeichnis
Der Barnum-Effekt (Storytelling / Markenkommunikation)
Barnum-Aussagen sind beispielsweise in Zeitungshoroskopen zu finden.
Der Barnum-Effekt, auch Forer-Effekt, bezeichnet die Neigung von Menschen, vage und allgemein gültige Aussagen über die eigene Person als zutreffende Beschreibung zu akzeptieren.
Barnum-Aussagen sind nicht falsifizierbar und widerlegbar, denn sie betonen vor allem Aspekte, die alle Menschen haben, oder Eigenschaften, die Menschen gerne besitzen würden. Das beste Beispiel für Barnum-Aussagen sind Zeitungshoroskope oder Glückskekse. Sie sind dermaßen allgemeingültig formuliert, dass jeder Mensch zu deren Aussage einen Bezug auf die eigene Person herstellen kann.
Im Bereich des Content Marketing tritt dieser Effekt z.B. bei Frauenzeitschriften auf. Wie jeder Online Marketer wissen sollte, leben wir in einer Hochzeit von Advertorials und gekauften PR Artikeln. Hier lassen sich für die weibliche Zielgruppe natürlich hervorragende Barnum-Aussagen in den Horoskopen verstecken, z.B. „Sie fühlen sich ausgelaugt, gönnen Sie sich einen Wellness Urlaub!“. Letztlich soll das Horoskop jedoch nur eins vermitteln: „Buche endlich das scheiss Wellness Wochenende, über das wir auf Seite 4 berichtet haben“.
Priming (Branding / Story Telling)
Unter Priming versteht man allgemein mentale Verarbeitungsprozesse der passiven Aktivierung einer internalen Bereitschaft aufgrund kurz zuvor erlebter Erfahrungen.
Priming bedeutet erhöhte Zugänglichkeit durch kurz zurückliegende Aktivierung. Priming wird sehr häufig oder fast immer in der Werbung angewandt und funktioniert mit Worten, Bildern und Symbolen. In der Werbung findet Priming durch Slogans und Werbeanzeigen statt, in dem man immer und immer wieder positive Wörter und Eigenschaften mit einem Produkt in Verbindung bringt und diese Werbebotschaft ständig wiederholt.
Beispiel 1: Sie werden auf eine Party gehen und jemand beschreibt Ihnen den Gastgeber als erfolgreich, sympathisch und großzügig. Folglich werden Ihnen alle folgenden Eindrücke des Gastgebers ehr positiv erscheinen.
Beispiel 2: Sie werden auf eine Party gehen und jemand beschreibt Ihnen den Gastgeber als launisch, ungebildet und geizig. Der Gastgeber wird Ihnen von Grund auf eher negativ erscheinen.
Man merkt worauf ich mit diesem einfach Beispiel hinaus will. Und genau so funktioniert Priming auch im Content Marketing, speziell bei Slogans und im Story Telling. Wenn man sein Produkt oder seine Dienstleistung immer wieder in Zusammenhang mit positiven Eigenschaften oder Gefühlen erwähnt, werden die Rezipienten mit dem Produkt oder der Dienstleistung eher etwas positives verbinden. Das funktioniert natürlich nur begrenzt wenn den Kunden das „Blaue vom Himmel“ versprochen wird.
Beispielhaft der Slogan von McDonalds „Ich liebe es“, der die Fast Food Produkte des Unternehmens in den Kontext der Liebe stellt. Liebe ist einer der positivsten Gefühlszustände die es gibt. Damit greift McDonalds das Grundbedürfnis von Menschen auf, sich mit den für sie wertvollen Dingen und Menschen in Beziehung zu setzen. Schließt man nun noch mit dem Halo-Effekt an, dann übertragen die Kunden von McDonalds den positiven Zustand der „Liebe“ global auf alle anderen Eigenschaften des Fast Food Restaurants.
Das folgende Video veranschaulicht beide Effekte ziemlich gut:
Psychologie des Preises (Branding)
Der Preis wird als Informationsquelle für die Qualität bzw. den Wert des Produkts
herangezogen.
Preise beeinflussen den subjektiven Wert eines Produkts. Man kann sagen, dass Preise Informationsträger sind. Hier ist das beste Beispiel Apple, wobei hier der Mehrwert nicht nur über den Preis kommuniziert wird.
Dieser Effekt tritt vor allem dann verstärkt aus, wenn es sich um Produkte handelt von denen der Konsument keine Ahnung hat. Der Preis fungiert in diesem Fall quasi als monetäre Verpackung und Qualitätsindikator. „Das Teurere ist das Bessere“. Das mag sicher nicht auf jeden Käufer zutreffen, doch im Grunde ist dies ein weit verbreiteter Effekt.
Die Positionierung auf einem hochpreisigen Sektor kann für ein Unternehmen durchaus ein Alleinstellungsmerkmal sein, zumal sich der Preis auch auf das Werteversprechen einer Marke auswirkt.
Gruppenzwang (Social Media Marketing)
Der Begriff „Gruppenzwang“ beschreibt ein individuelles Verhalten, dass an das Verhalten einer mehrheitlichen Gruppe angepasst wird.
Der Gruppenzwang dürfte jedem ein Begriff sein, frühestens seit der Schulzeit. Er ist zwar kein Effekt, der in der Markenkommunikation direkt messbar auftritt, jedoch ist er in der Werbung weit verbreitet, z.B. bei Bierwerbung. Auch während der aktuellen Fussball Weltmeisterschaft machen sich die Werber das weltweite mega Event zu nutze, um ein Produkt oder eine Marke in den sozialen Kontext zu setzen. Das hat zur Folge, spaßhaft ausgedrückt, dass es kaum noch ein Produkt gibt, dass nicht mit Fussball beworben wird. Spätestens bei Klopapier wird es wohl schwierig, einen positiven „Wir scheissen alle zusammen!“ – Gedanken zu erzeugen.
Im Content Marketing selbst ist der Gruppenzwang aber gut aufgehoben, z.B. im Social Media Marketing. Soziale Interaktion und das Bilden einer Gemeinschaft stärkt die Marke und das subjektive Bedürfnis ein Produkt zu kaufen oder das Bedürfnis zu entwickeln, es zu wollen.
Foot-in-the-door-Technik (Kundenbindung / Branding)
Man erbittet einen kleinen Gefallen, den das Gegenüber praktisch nicht ausschlagen kann. Wenn man den „Fuß“ dann einmal „in der Tür hat“, rückt man mit der wahren Forderung heraus.
Diese Technik stammt ursprünglich aus der Zeit von Haustürgeschäften. Zugegeben, der Bezug zum Content Marketing ist etwas weit hergeholt, jedoch sehe ich da durchaus Bezug. Abstrakt gedacht ist guter Content der mit z.B. „Pay with a tweet“ oder „Pay with a share“ – Funktionen ausgestattet ist schon mit dieser Technik ausgestattet. Nur einen „Like“ oder seine E-Mail Adresse herzugeben und dafür guten Content, Whitepapers oder E-Books zu bekommen, das ist für Kunden wahrlich kein großer Gefallen. Nutzt man die neuen Kontaktdaten der Rezipienten nun geschickt, z.B. mit informativen Extrainhalten und richtigen Mehrwert, so wird die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kunden bei einem späteren E-Book bares Geld hinlegen, mit Sicherheit ansteigen. Hier überschneiden sich auch die Prinzipien der Kundenbindung und des Branding.
Wenn man es einmal ganz genau nimmt, dann ist die Definition von Content Marketing gleich die Definition der Foot-in-the-door-Technik. 😉
Content Marketing ist eine Marketing-Technik, die mit informierenden, beratenden und unterhaltenden Inhalten die Zielgruppe ansprechen soll, um sie vom eigenen Unternehmen und seinem Leistungsangebot oder einer eigenen Marke zu überzeugen und sie als Kunden zu gewinnen oder zu halten.
Tupperware-Party-Konzept
Das Konzept sieht vor, persönliche Beziehungen und Freundschaften zu nutzen, um neue Kunden zu gewinnen. An einem Nebenerwerb interessierte Firmenfremde stellen ihre Wohnung für eine Verkaufsveranstaltung zur Verfügung, zu der sie Freunde und Bekannte einladen und bewirten.
Hier werden einige sicher laut lachen. Aber wirklich, dieses Konzept findet auch im Content Marketing Anwendung. Zwar nicht so, aber in abgewandelter Form. Man kann diese Art des Vertriebs häufig bei Leuten beobachten, die ein extrem großes Netzwerk pflegen oder eine große Anhängerschaft in den Social Media. Natürlich verkauft dort niemand direkt seine „Tupperware“, aber der Effekt ist derselbe.
Kognitive Leichtigkeit (Story Telling)
Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat mit seinem Buch „Thinking, Fast and Slow“ ein Erklärungsmodell für menschliches Entscheidungsverhalten vorgelegt, das auf dem in der Psychologie bekannten ‚System 1‘ und ‚System 2‘ Ansatz aufbaut. Kahneman sagt, dass die so genannte „kognitive Leichtigkeit“ zu positiven Emotionen in System 1 führt. Sachen die man schon kennt gefallen intuitiv, weil anstrengender Verarbeitungsaufwand entfällt. Kurz: Denken ist anstrengend und überflüssig.
Noch einfacher gesprochen: Wir bedienen uns häufig einer Urteilsheuristik, die uns schnell und ohne großes Denken zu einer Entscheidung führt. Urteilsheuristiken sind automatische Denkprozesse, die unbewusst und unwillkürlich ablaufen. Sie beruhen auf unseren Erfahrungen und Erinnerungen.
Eine kohärente Story äußert sich in einem Gefühl kognitiver Leichtigkeit und der Illusionen der Wahrheit, angenehmen Gefühlen und reduzierter Wachsamkeit.
Überträgt man dies nun auf das Story Telling im Content Marketing so kommt man zu dem Schluss, dass Geschichten immer einfach sein sollten. Je einfacher eine Geschichte ist und je einfach sie nachvollziehbar und mit den eigenen Erfahrungen substituierbar ist, desto besser funktioniert sie. Einfache Geschichten „gehen runter wie Öl“ und beanspruchen unser System 2 nicht. Stattdessen füttern wir nur System 1, welches die Geschichte dankbar annimmt weil sie leicht nachvollziehbar und logisch ist. Durch solch eine kohärente Geschichte, erlangt man im Content Marketing einen besseren Zugang zu den Rezipienten.
In der Werbung sieht man das sehr häufig: Gute Werbespots haben eine ganz einfache story und eine ganz einfache Message, z.B. „die Wäsche ist wieder weiß, weil sie mit Waschmittel XYZ gewaschen wurde“. Lauter schöne Menschen tanzen durch den grünen Garten als plötzlich ein Kirschfleck auf dem weissen Armani Hemd für Unruhe sorgt. Kein Problem, die kompetente Model-Hausfrau hat ja Waschmittel 0815 im Schrank und die Laune ist gerettet.
Hier wieder eine Kombination aus Priming, Halo- und Barnum-Effekt und kognitiver Leichtigkeit.
Fazit
Das war nur ein grober Anriss einiger im Marketing und auch im Content Marketing vorkommender psychologischer Effekte. Ich hoffe der Beitrag konnte anschaulich aufzeigen, wie bestimmte Maßnahmen in direkten oder unmittelbaren Zusammenhang zur Psychologie stehen. Wer sich für die Experimente hinter den Effekten interessiert, dem empfehle ich diese Liste der klassischen Experimente in der Psychologie.
Was sich, so glaube ich, ziemlich gut heraus kristallisiert hat ist, dass man beim Story Telling oder im Austausch in sozialen Netzwerken überhaupt nicht sonderlich extrovertiert oder „übermäßig kreativ“ werden muss. Es sind die einfachen Geschichten die gut funktionieren. Es sind nachvollziehbare und „runter wie Öl“- Inhalte, Artikel oder whatever, die so richtig einschlagen. Es ist das empathische Auftreten „auf Augenhöhe“, dass Social Media Marketing erfolgreich macht. Und wenn das Produkt oder die Dienstleistung geil ist, dann darf es auch gerne das Tupperware-Vertriebsmodell sein. Ihr dürft die Leute auch bis in die Unendlichkeit primen, solange Ihr das Marken- und Werteversprechen einhaltet. Wenn nicht, dann kann Euch eh nichts mehr helfen, denn Scheisse verkauft man höchstens einmal.
Nun fühlt Ihr Euch sicher ausgelaugt. Gönnt Euch doch einfach mal einen Wellness Urlaub. 🙂
P.S. Ich bitte aufgrund der Komplexität um Nachsicht bei der Vollständigkeit und eventuellen Fehlern. Vielen Dank!