Den Kunden als Experten seiner Bedürfnisse sehen

Gestern hielt ich einen Gastvortrag an der HNE Eberswalde bei Prof. Dr. Claudia C. Brözel und es entbrannte zum Ende hin eine Diskussion über die Fragen „Welche Rolle spielt SEO im Onlinemarketing?“ und „Was eine Low Budget AdWords Kampagne zu Leisten im Stande ist“. Dabei fiel irgendwann der Begriff „qualifizierter Traffic“.

Gemeint ist damit, dass SEO und SEA nicht nur den Traffic allgemein erhöhen, sondern nur den absolut fachkundigen Teil der Zielgruppe ansprechen sollen. Quasi die „Ich weiß was ich will“- und „Ich kenne mich damit aus“ – Menschen. Dadurch würde sich die Conversion Rate erhöhen und die Kampagnenkosten senken lassen, ohne das man den bestehenden Content einer Website verändern oder austauschen muss. Man arbeitet quasi mit „dem was da ist“, zerstückelt den Inhalt in seine fachlichen Bestandteile und füttert den Kunden mit Häppchen an, die sich nicht nur auf ein konkretes Bedürfnis beziehen, sondern auch auf das Bildungsmilieu des Kunden. Man übersetzt quasi das reine Angebot einer Website in den Fachchargon des Kunden und bewirkt so eine Kommunikation auf Augenhöhe. Man sollte den Kunden generell auch ruhig mehr zutrauen. Viele Werbeansprachen sind zu plakativ oder in einer so vereinfachten Sprache, dass die Kunden den Anbieter nicht als kompetenten Partner wahrnehmen.

Es stand die Meinung im Raum, dass SEO und Google AdWords Kampagnen dazu genutzt werden sollten, nicht nur die Zielgruppe mit Kaufabsicht anzusprechen (Money Keywords) sondern auch die „qualifizierte“ Zielgruppe. Das bedeutet, es werden Streuverluste weiter minimiert und die „Spreu vom Weizen getrennt“. Dies wiederum erhöht die Conversions.

Das ist an sich nicht neu, wenn man sich die Begrifflichkeit „Nischenstrategie“ vor Augen hält, jedoch unterscheidet sich eine klassische Nischenstrategie vom Ansatz der „Traffic Optimierung“. 

Nischenstrategie und Spezialisierung

Wettbewersmatrix nach Porter

Wettbewersmatrix nach Porter

Nischenstrategien (engl. focus) – auch „Strategie der Konzentration auf Schwerpunkte“ – sind strategische Konzentration auf bestimmte Kundengruppen, Segmente oder geographische Märkte. Wie auch Differenzierung können Nischenstrategien viele Formen annehmen. Sie beruhen auf der Annahme, dass ein Unternehmen aufgrund des eng gefassten Zieles dieses Ziel besser mit Produkten oder Dienstleistungen versorgen kann, als breiter konkurrierende Mitbewerber. Als Ergebnis erzielt das Unternehmen entweder hohe Differenzierung indem die Bedürfnisse einer Zielgruppe besser bedient werden oder eine günstigere Kostensituation oder beides. – Quelle: Wikipedia

Nach Porter verfolgt die Nischenstrategie den Ansatz, dass ein Unternehmen ein Produkt auf eine spezielle Zielgruppe zuschneidet (Beispiel „Bionade“) und somit auf Nischenmärkten erfolgreich ist. Größere Unternehmen können auch mehrere Nischen besetzen und so im gesamten den Marktanteil erhöhen. Diese Nischenstrategie beschreibt jedoch ein Produkt als Nische und nicht die Zielgruppe. Auch eine Zielgruppe kann „Nische“ sein.

Der eingehens erwähnte Ansatz des „qualifizierten Traffics“ ist so gesehen eine umgekehrte Nischenstrategie. Nicht das Produkt wird auf eine spezielle Zielgruppe zurecht geschnitten, sondern die SEO-Prozesse und SEA-Kampagnen auf die Zielgruppe. Das bedeutet jedoch nicht nur, dass man seine Zielgruppe richtig anspricht sondern auch, dass man seine Zielgruppe in „qualifizierte Untergruppen“ unterteilt und diese Unterteilungen separat und speziell anspricht.

Diese Strategie mag für einen Dienstleister mit nur einer Dienstleistung oder ein Unternehmen mit nur einem Produkt nicht interessant erscheinen. Für Onlineshops, Fullservice Dienstleister, Tourismus und Gastronomie könnte sie jedoch durchaus effektiv sein. Vor allem dann, wenn wenig Budget zur Verfügung steht.

Rahmenbedingungen

Um diese Strategie wirklich effizient umsetzen zu können, sollte man jedoch die Vorraussetzungen prüfen bzw. ob diese Strategie überhaupt von Relevanz ist. Wie oben bereits erwähnt, lohnt sich diese Art der „Traffic Optimierung“ nicht für jedes Geschäft. Eine Entscheidungshilfe, ob diese Strategie in Frage kommt, könnten folgende Fragen sein:

  • Habe ich eine oder mehrere Dienstleistungen / Produkte, die ich anbiete?
  • Wie viel Budget habe ich zur Verfügung?
  • Habe ich die fachlichen Ressourcen / Kompetenzen um diese Strategie umzusetzen?
  • Hat meine Dienstleistung / mein Produkt überhaupt eine fachlich versierte Zielgruppe?
  • Kann ich auf Reichweite verzichten?
  • Ist eine Ansprache durch „Nerd Slang“ oder „Fachchinesisch“ angebracht?

Ein Unternehmen mit einem Werbeetat von mehreren tausend Euro pro Monat kann sicherlich auch von dieser Methode profitieren, allerdings sehe ich hier den Nutzen mehr in Richtung KMU und Unternehmen mit geringen Budgets.

Keyword Recherche auf Augenhöhe

Möchte man eine Nischenstrategie verfolgen, ist die Wahl der richtigen Keywords als absolutes Fundament zu betrachten. Wie auch bei der Wahl der Money Keywords, also Keywords die für eine Kaufabsicht des Nutzers stehen (z.B. Handy günstig kaufen), sollte man sich bei einer Nischenstrategie auf Keywords beschränken, die auf einen „bereits entschlossenen Kauf“ deuten.

Beispiel: Money Keywords

Beispiel: Money Keywords

Money Keywords stehen für die Kaufabsicht eines Users, während andere Keywords wiederum für die fachliche Versiertheit oder besser für die „Kompetenz“ des Nutzers sprechen. Bei „qualifizierten Traffic“ kann man also davon ausgehen, dass die suchenden Nutzer und potenziellen Kunden nicht nur eine Kaufintention haben, sondern auch noch eine genaue Vorstellung des Produktes haben bzw. einen fachlichen Bezug zum Produkt oder eine genaue technische Anforderung an ein Produkt.

Beispiel: Keywords für eine qualifizierte Suche

Sie suchen dann beispielsweise

  • nach konkreten Typenbezeichnungen / Modellnummern
  • nach Artikelnummern
  • mit Fachbegriffen oder „Genre“ – Sprache
  • nach bestimmten Regionen oder Sub-Regionen (eingrenztes Gebiet)
  • nach einer bestimmten Marke / Anbieter

„Qualifizierter Traffic“ beschreibt also Nutzer, die nicht nur eine Kaufabsicht verfolgen sondern auch noch „genau wissen“ was sie wollen,“wie man es nennt“ und darauf Wert legen, dass der Anbieter selbst auch Experte auf dem Gebiet ist. (z.B. Weinkenner) Bei diesen Nutzern kann sich eine speziell zugeschnittene und fachlich ausgerichtete Ansprache positiv auf die Rezeption einer Werbebotschaft auswirken.

Der Vorteil der „Traffic Optimierung“

Die Vorteile liegen hier ganz klar in der Conversion Optimierung und in der Kosteneffizienz. Durch die kategorische Zielgruppenansprache verringern sich die Streuverluste bei SEO und reduzieren sich die Kampagnenkosten bei SEA. Auch hat ein SEO-Dienstleister oder Google Adwords Spezialist mehr Handlungsfreiraum und ist nicht auf die unbedingte Änderung des Content einer Website angewiesen. In der Praxis gestaltet sich dies nämlich recht oft als Problem, wenn SEO und SEA zwar sichtlich mehr Traffic produzieren, die Website selbst jedoch nicht zielführend, schlecht zu bedienen oder veraltet ist. Eine Optimierung der Ansprache auf die fachliche Versiertheit der Zielgruppe, kann die Mankos einer Website diesbezüglich ausgleichen, weil falsche Erwartungshaltungen durch Konkretisierung kompensiert werden.

Ein weiterer großer Pluspunkt ist, dass SEO und SEA durch diese Arbeitsweise flexibler werden und nicht mehr in so starker Abhängigkeit zum Content einer Website stehen. Beides ist nämlich bisher auch stark an die Inhalte einer Website gebunden, sofern die Conversion Optimierung im Vordergrund steht. Man kennt dies von SEO, wie eingehend erwähnt, dass zwar der Traffic erhöht wird, jedoch die Conversions ausbleiben, wenn die Seite „einfach scheisse“ aussieht oder für Nutzer „unbedienbar“ ist. Suchmaschinenoptimierung und Suchmaschinenwerbung galten bisher mehr als Traffic Booster und nicht als Conversion Booster.

Fazit

Mit einer „qualifizierten Traffic“ – Strategie kann man als kleineres Unternehmen in Wettbewerb gehen, ohne tausende von Euro in AdWords Kampagnen oder SEO zu stecken. Durch den Fokus auf Nischenkeywords und die „Qualifizierung“ der Zielgruppe wird es möglich, trotz des starken Wettbewerbs in den SERP und der hohen CPC von Money Keywords, sichtbar zu bleiben. Quasi „Fachbereich“ vs. „Discounter“. Vor allem bei SEA dürfte die enorme Kosteneffizienz ein Totschlagargument sein. Die Optimierung auf „qualifizierten Traffic“ lehnt sich stark an die Spezialisierung an. Hervorzuheben ist aber, dass bei dieser Strategie die Zielgruppe selbst als „Experte“ seiner Bedürfnisse gesehen und fachlich angesprochen („gelockt“) wird. Dadurch wird erreicht, dass es 1. eine Kommunikation auf Augenhöhe gibt und 2. das der Anbieter selbst als Experte und nicht als „Verkäufer“ wahrgenommen wird. Ein Beispiel dafür ist der Onlineshop www.whisky.de, der zu vielen Whiskeys fachlich orientierte Verkostungsvideos auf Youtube läd und diese dann passend in die Produktseite einbettet. (Zugegeben: Dieses Beispiel ist etwas entfernt von meinem Ansatz)

So kann man mit dieser Nischenstrategie den bereits vorhandenen Content (Unterseiten, Produktseiten, Kategorien usw.) nach Zielgruppe und Unterzielgruppen kategorisieren und, abhängig vom Wettbewerb, den Fokus auf „Qualifizierung“ oder „Kaufintention“ legen, je nach dem wie hoch der Wettbewerb in den SERP ist oder der CPC bei Google AdWords.

Fraglich ist jedoch, ob bestimmte Branchen auf Money Keywords und den „allgemeinen Traffic“ verzichten können und ob nicht selbst die Nische bereits starken Wettbewerb hat. Auch ist entscheidend, ob ein Angebot wirklich allein durch die „Spezialisierung der Zielgruppe“ wahrgenommen und gekauft wird. Letztlich spielt auch die Website selbst eine große Rolle, ob ein Kauf erfolgt oder nicht, ob ein Angebot überzeugt oder nicht. Unklar ist auch, ob man bei der potenziellen Kundschaft immer fachliche Kompetenzen voraussetzen kann, beispielsweise ob sich ein Weinkenner tatsächlich immer mit Fachausdrücken artikuliert.

Ich denke, dass die Optimierung auf „qualifizierten Traffic“ keine Alleinstrategie ist, weil durch diese intensive Spezialisierung nicht nur andere potenzielle Kunden verlorengehen, sondern auch „genrefremde“ Leute, die gerne entdecken oder sich überzeugen lassen. In einem Strategiemix, einem Nischenangebot oder hochpreisigen Angeboten dürfte diese Vorgehensweise jedoch recht effektiv sein.